Neue Netzwerke in alten Systemen
Adriana Czernin und Broadacre City 2.0 im kunsthaus muerz

Von Felix Obermair

Adriana Czernins Bilder und Zeichnungen könnten auf den ersten Blick als Wanddekorationen für Hipster-Wohnzimmer durchgehen. Doch bei näherem Hinsehen entfaltet sich erst die volle Komplexität ihres Inhalts. Czernin, 1969 in Sofia geboren, verknüpft in ihrer jüngsten Werkserie Eckpunkte scheinbar wohldefinierter, traditioneller islamischer Elemente neu miteinander und schafft dadurch faszinierende Muster, die zugleich eingängig und unübersichlich, beruhigend und aufwühlend wirken. Klingt widersprüchlich? Ist es natürlich, und von Czernin mit ziemlicher Sicherheit so beabsichtigt.

Die großformatigen (Wand-)Malereien und kleineren Zeichnungen der bulgarischen Künstlerin werden aktuell im Kunsthaus Mürzzuschlag (kunsthaus muerz) gezeigt. Im Großformat oft farbig, im Kleinformat schwarz-weiß, fesseln Czernins Werke mit der Dauer ihrer Betrachtung immer mehr. Die Künstlerin selbst wird im Ausstellungsflyer mit folgenden Worten zitiert:

„Um das Verlorengegangene wiederzufinden, habe ich alle vorhandenen Punkte und Linien miteinander verbunden. Unter meinem Lineal ist ein neues Netz voller Beziehungen, fast konspirativer Zusammenhänge entstanden. Ich entdeckte ein System, das komplex und kompliziert ist, zugleich aber auch einfach. Es ist stabil und statisch. Keine Bewegung ist möglich, kein Rütteln ist erlaubt.“

Der letzte Satz gibt mir aber wieder Rätsel auf – ihre Bilder selbst zeigen doch, wie am scheinbar starren System gerüttelt werden kann. Klar, die Punkte im Netzwerk bleiben die gleichen. Aber sie erscheinen in vollkommen neuen Beziehungen. Vielleicht sollte ich hier bei Czernin selbst nachfragen. Wichtiger erscheint mir jedenfalls der Subtext der Werkserie: Die Suche nach „Formen individueller Freiheit im Rahmen strenger, scheinbar unerschütterlicher gesellschaftlicher Regelsysteme“ (Zit. Ausstellungstext). Das jahrhundertealte Ornament als scheinbar starres System entfaltet hier als Basis für neue Netzwerke ungeahnte Qualitäten.

Um neue Verknüpfungen scheinbar festgefahrener Systeme geht es auch in der zweiten Ausstellung, die im kunsthaus muerz anlässlich des Architektursommers zu sehen ist. Mit dem Unterschied, dass das untersuchte System (ist es überhaupt eins?) weder formal schön noch sonderlich geordnet erscheint: ich rede von der Grazer Südwest-Peripherie.

In Broadacre City 2.0 – postfossil, konzipiert vom Grazer Architekturbüro fiedler.tornquist, bringen gleich vier Universitätsinstitute aus Graz und Wien ihre Ideen für eine bessere Zukunft des Grazer Südwestens ein. Startpunkt des Vorhabens ist Frank Lloyd Wrights städtebauliche Vision aus dem Jahre 1935, Broadacre City (die weite Stadt). In krassem Gegensatz zu kompakten Stadtzentren sollten in dieser Utopie jede Familie in einem rechtwinkligen Raster einen acre (ca. 4000 m²) Land erhalten und auf diesem beinahe autark leben können. Die zwischen den Häusern entstehenden, großen Distanzen sollten vorwiegend mit dem Auto zurückgelegt werden. Ein Zerrbild von Wrights Utopie wurde im Grazer Südwesten Wirklichkeit: Die Raumtypen des fossilen Zeitalters – „Einfamilienhäuser, überwucherte Dörfer, auto-orientierter Konsum, raumgreifende Verkehrsanlagen“ (Zit. Ausstellungstext) – koexistieren in Seiersberg, Feldkirchen, Puntigam, und an vielen anderen Orten. Ohne Wrights Ordnung, von ästhetischen Grundsätzen gar nicht zu reden.

In Broadacre City 2.0 beauftragten fiedler.tornquist nun die Uni-Institute mit konkreten Lösungsfindungen, die bis 2050 umgesetzt werden könnten – für ein post-fossiles Zeitalter, wohlgemerkt. Studierende und Lehrende der Örtlichen Raumplanung (TU Wien), des Städtebaus (TU Graz), des Verkehrswesens und der Landschaftsarchitektur (beide BOKU Wien) präsentieren auf Plakaten und im beeindruckenden, zentralen städtebaulichen Modell ihre parallel ausgearbeiteten Vorschläge. Sie beschreiten dabei höchst unterschiedliche Wege und kommen zu ebenso unterschiedlichen Lösungen. Einzeln auf sie einzugehen würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Als kleinen Vorgeschmack gibt es hier einige Modellfotos zu sehen – gut ist etwa die Einhausung und Überbauung der bislang scharf trennenden Autobahnachse Graz-Süd zu erkennen.

Ansonsten gilt: selbst nach Mürzzuschlag fahren (geht auch prima mit Zug)! Adriana Czernin, Broadacre City 2.0 und das kunsthaus muerz selbst (Architektur von Konrad Frey und Andreas Ortner!) sind gleich drei gute Gründe für einen Besuch. Kleiner Tipp für alle, die wochenends Ausstellungs- mit Einkaufskultur verbinden wollen: schon am Samstagvormittag anreisen! Mürzzuschlags – durchaus vielseitiger – Einzelhandel hat am Samstagnachmittag schon großteils Sonntagsruhe.

Adriana Czernins Werke sind noch bis 31. August, Broadacre City 2.0 bis 16. September 2018 im kunsthaus muerz (Wiener Straße 35, 8680 Mürzzuschlag) zu sehen.

Von Felix Obermair

Adriana Czernins Bilder und Zeichnungen könnten auf den ersten Blick als Wanddekorationen für Hipster-Wohnzimmer durchgehen. Doch bei näherem Hinsehen entfaltet sich erst die volle Komplexität ihres Inhalts. Czernin, 1969 in Sofia geboren, verknüpft in ihrer jüngsten Werkserie Eckpunkte scheinbar wohldefinierter, traditioneller islamischer Elemente neu miteinander und schafft dadurch faszinierende Muster, die zugleich eingängig und unübersichlich, beruhigend und aufwühlend wirken. Klingt widersprüchlich? Ist es natürlich, und von Czernin mit ziemlicher Sicherheit so beabsichtigt.

Die großformatigen (Wand-)Malereien und kleineren Zeichnungen der bulgarischen Künstlerin werden aktuell im Kunsthaus Mürzzuschlag (kunsthaus muerz) gezeigt. Im Großformat oft farbig, im Kleinformat schwarz-weiß, fesseln Czernins Werke mit der Dauer ihrer Betrachtung immer mehr. Die Künstlerin selbst wird im Ausstellungsflyer mit folgenden Worten zitiert:

„Um das Verlorengegangene wiederzufinden, habe ich alle vorhandenen Punkte und Linien miteinander verbunden. Unter meinem Lineal ist ein neues Netz voller Beziehungen, fast konspirativer Zusammenhänge entstanden. Ich entdeckte ein System, das komplex und kompliziert ist, zugleich aber auch einfach. Es ist stabil und statisch. Keine Bewegung ist möglich, kein Rütteln ist erlaubt.“

Der letzte Satz gibt mir aber wieder Rätsel auf – ihre Bilder selbst zeigen doch, wie am scheinbar starren System gerüttelt werden kann. Klar, die Punkte im Netzwerk bleiben die gleichen. Aber sie erscheinen in vollkommen neuen Beziehungen. Vielleicht sollte ich hier bei Czernin selbst nachfragen. Wichtiger erscheint mir jedenfalls der Subtext der Werkserie: Die Suche nach „Formen individueller Freiheit im Rahmen strenger, scheinbar unerschütterlicher gesellschaftlicher Regelsysteme“ (Zit. Ausstellungstext). Das jahrhundertealte Ornament als scheinbar starres System entfaltet hier als Basis für neue Netzwerke ungeahnte Qualitäten.

Um neue Verknüpfungen scheinbar festgefahrener Systeme geht es auch in der zweiten Ausstellung, die im kunsthaus muerz anlässlich des Architektursommers zu sehen ist. Mit dem Unterschied, dass das untersuchte System (ist es überhaupt eins?) weder formal schön noch sonderlich geordnet erscheint: ich rede von der Grazer Südwest-Peripherie.

In Broadacre City 2.0 – postfossil, konzipiert vom Grazer Architekturbüro fiedler.tornquist, bringen gleich vier Universitätsinstitute aus Graz und Wien ihre Ideen für eine bessere Zukunft des Grazer Südwestens ein. Startpunkt des Vorhabens ist Frank Lloyd Wrights städtebauliche Vision aus dem Jahre 1935, Broadacre City (die weite Stadt). In krassem Gegensatz zu kompakten Stadtzentren sollten in dieser Utopie jede Familie in einem rechtwinkligen Raster einen acre (ca. 4000 m²) Land erhalten und auf diesem beinahe autark leben können. Die zwischen den Häusern entstehenden, großen Distanzen sollten vorwiegend mit dem Auto zurückgelegt werden. Ein Zerrbild von Wrights Utopie wurde im Grazer Südwesten Wirklichkeit: Die Raumtypen des fossilen Zeitalters – „Einfamilienhäuser, überwucherte Dörfer, auto-orientierter Konsum, raumgreifende Verkehrsanlagen“ (Zit. Ausstellungstext) – koexistieren in Seiersberg, Feldkirchen, Puntigam, und an vielen anderen Orten. Ohne Wrights Ordnung, von ästhetischen Grundsätzen gar nicht zu reden.

In Broadacre City 2.0 beauftragten fiedler.tornquist nun die Uni-Institute mit konkreten Lösungsfindungen, die bis 2050 umgesetzt werden könnten – für ein post-fossiles Zeitalter, wohlgemerkt. Studierende und Lehrende der Örtlichen Raumplanung (TU Wien), des Städtebaus (TU Graz), des Verkehrswesens und der Landschaftsarchitektur (beide BOKU Wien) präsentieren auf Plakaten und im beeindruckenden, zentralen städtebaulichen Modell ihre parallel ausgearbeiteten Vorschläge. Sie beschreiten dabei höchst unterschiedliche Wege und kommen zu ebenso unterschiedlichen Lösungen. Einzeln auf sie einzugehen würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Als kleinen Vorgeschmack gibt es hier einige Modellfotos zu sehen – gut ist etwa die Einhausung und Überbauung der bislang scharf trennenden Autobahnachse Graz-Süd zu erkennen.

Ansonsten gilt: selbst nach Mürzzuschlag fahren (geht auch prima mit Zug)! Adriana Czernin, Broadacre City 2.0 und das kunsthaus muerz selbst (Architektur von Konrad Frey und Andreas Ortner!) sind gleich drei gute Gründe für einen Besuch. Kleiner Tipp für alle, die wochenends Ausstellungs- mit Einkaufskultur verbinden wollen: schon am Samstagvormittag anreisen! Mürzzuschlags – durchaus vielseitiger – Einzelhandel hat am Samstagnachmittag schon großteils Sonntagsruhe.

Adriana Czernins Werke sind noch bis 31. August, Broadacre City 2.0 bis 16. September 2018 im kunsthaus muerz (Wiener Straße 35, 8680 Mürzzuschlag) zu sehen.